Kieler Lebensläufe als Quelle stadtgeschichtlichen Wissens //
Erinnerung bewahren, Perspektive erweitern, gesellschaftliche Teilhabe sichern, Medienvielfalt nutzen, Identifikation ermöglichen. Das sind wichtige Wegmarken auf dem Reformpfad der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte e.V.. Da waren sich die Redner bei der Auftaktveranstaltung zum 150-jährigen Jubiläum des Vereins am 28. Februar 2025 einig. Gut 200 Gäste hörten im großen Saal des Innopier aufmerksam zu, als der Vorsitzende Rolf Fischer betonte, den Verein im digitalen Wandel neu justieren zu wollen.
Die virtuelle Brille nutzen!
„Wenn sich die Menschen in ihrem alltäglichen oder beruflichen Leben selbstverständlich in der digitalen Welt bewegen, dann können sich historische Präsentationen dort nicht raushalten, nicht beiseite stehen!“
Fischer mahnte die Akteure in Archiven, Museen und Geschichtsvereinen, sich auf veränderte Gewohnheiten einzustellen. Er warb unter anderem dafür, Kiels Geschichte in einem zu erweiternden Stadtmuseum auch mit virtuellen Mitteln wie der so genannten VR-Brille anschaulich zu präsentieren.
Archivbestände weiter digitalisieren!
Im Stadtarchiv wird derzeit die digitale Infrastruktur ausgebaut, so Dr. Johannes Rosenplänter, Leiter der historischen Institute der Stadt Kiel. Die Online-Recherche der Bestände wird mit dem Umzug an den neuen Standort in der Hopfenstraße erweitert. Ein Mammutprojekt! Im Archiv lagern gut 6.000 Regalmeter Akten, rund 16.000 Karten und Pläne, etwa 30.000 Bücher und Druckschriften sowie mehr als 2,5 Millionen Fotos. Durch neue, größere Räume und einen leichteren Zugriff auf historische Dokumente will das Archiv nutzerfreundlicher werden.
„Weil wir der Überzeugung sind, dass Menschen sich Geschichte viel besser aneignen, wenn sie sich daran beteiligen, wenn sie also mitforschen und sich ihre eigene Geschichte erarbeiten können“.
Mehr Wissen neu bewerten!
Das schafft Raum für eine neue Sicht auf die Stadt und ihre Bewohner. Und für Lokalhistoriker birgt der erleichterte Zugang zu Originalunterlagen nach Ansicht von Kiels Bürgermeisterin Renate Treutel neue Herausforderungen.
„Für die Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte liegt eine der großen Fragen darin, wie sie mit ihrer Deutungshoheit umgehen will.“
Geschichte kenne nicht nur eine Perspektive. Junge Menschen blickten anders auf Geschichte als Ältere, sozial Benachteiligte anders als Privilegierte. Sie sei gespannt auf die Antwort. Zugleich dankte sie im Namen der Stadt dem Verein und seinen engagierten Mitgliedern für ihr Wirken.
Neue Gruppen aktivieren!
Eine mögliche Antwort gab bei der Veranstaltung Dr. Linde Apel. Sie leitet die „Werkstatt der Erinnerung“ in der „Forschungsstelle für Zeitgeschichte“ in Hamburg. „Die Werkstatt“ ist ein Archiv erzählter Geschichte(n). Damit werden Hamburger Lebensläufe dokumentiert. Die Sammlung umfasst etwa 2.300 Interviews zu zahlreichen Aspekten der hamburgischen Zeitgeschichte von der Weimarer Republik bis in die Gegenwart. Ein vergleichbares Projekt – die „Kieler Geschichte(n)“ – hat in diesem Jahr eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Geschichtsgesellschaft gestartet. Beide Projekte verfolgen auch das Ziel, soziale Gruppen in den Forschungsprozess einzubeziehen, die in der Stadtgeschichte bis dato nicht im Rampenlicht stehen. Die „Werkstatt“ ist unlängst an Zuwanderer herangetreten, sich interviewen zu lassen und so ihre Perspektive auf die Stadtgeschichte darzustellen. Und sie hat ihnen angeboten, selbst Interviews mit Migranten zu führen und sie dafür zu schulen.
Kritische Haltung bewahren!
Rolf Fischer ermunterte die Anwesenden zum Ende der gut dreistündigen Veranstaltung, sich ihre kritische Haltung zu bewahren. So wie es sein Vorgänger im Amt gehalten habe. Er würdigte den langjährigen Vorsitzenden Dr. Jürgen Jensen als kompetenten Macher und kritischen Geist:
„Ohne deine kritische Sicht auf die Dinge – ob im Museum, im Verein oder in der Stadtgesellschaft – wäre keine urbane Veränderung möglich gewesen.“
Der Vorstand dankte Dr. Jensen für sein Wirken im und für den Verein und verlieh ihm den Ehrenvorsitz. Er dankte auch Dr. Hans-F. Rothert für dessen Mitarbeit im Vorstand, die er „über Jahre mit Energie, Haltung und Sorgfalt geleistet“ habe. Er habe mit seinem Buch „Kieler Lebensläufe aus sechs Jahrhunderten“ hohe Standards für das Feld der biographischen Arbeit gesetzt. Dafür verlieh ihm der aktuelle Vorstand die Ehrenmitgliedschaft.
Autor: Uwe Nieber
Auf dem Foto oben sind die zahlreichen Gäste der Veranstaltung im Innopier Kiel sowie Rolf Fischer am Podium zu sehen. Foto: © Regina Baltschun
Bürgermeisterin Renate Treutel bei Ihrem Grußwort zur Jubiläumsveranstaltung 28.02.2025
© Regina Baltschun
v. links: Renate Treutel, Annette Wiese-Krukowska, Dr. Linde Apel, Dr. Johannes Rosenplänter, Anne Krohn
© Regina Baltschun
Talkrunde mit Annette Wiese-Krukowska, Dr. Linde Apel, Anne Krohn und Dr. Johannes Rosenplänter
© Regina Baltschun